Lab Innovation
03.05.2021 | Die Messe
Wie lassen sich klimaschädliche Emissionen in der Lieferkette reduzieren? Um diese Frage anzugehen, muss man wissen, wo die relevanten Emissionen überhaupt entstehen. Carbon Minds will Unternehmen dabei mit seinem umfassenden Datenmodell unterstützen.
In den letzten Jahren haben sich viele Unternehmen ehrgeizige Klimaziele gesetzt. Doch wie misst man, welche Auswirkungen die eigenen Produkte auf das Klima haben? Ohne Transparenz und Wissen tappt man auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit im Dunkeln – mit ungewissem Ausgang. „95 % aller produzierten Waren enthalten Chemikalien und Kunststoffe. Die Lieferkette ist eine der größten Herausforderungen – und eine der größten Chancen – in Richtung Nachhaltigkeit. Lieferketten machen im Durchschnitt 80 % des Carbon Footprints von Produkten aus. In hochkomplexen, globalen Ketten sind qualitativ hochwertige Klimadaten jedoch Mangelware. Die geringe Datenverfügbarkeit macht es fast unmöglich, die Auswirkungen der Zulieferer zu vergleichen und Emissionsreduktionen in der Lieferkette zu finden“, sagt Dr. Arne Kätelhön, einer der Gründer von Carbon Minds.
Je nachdem, woher eine Firma ihre Chemikalien und Materialien bezieht, unterscheiden sich die Produktionswege und damit auch die Umweltwirkungen. Lieferanten nach dem Klimaeffekt auszuwählen ist jedoch kompliziert, erklärt Arne Kätelhön: „Nehmen wir an, ein Unternehmen stellt Laptops her. Laptops enthalten Chemikalien, und diese Chemikalien basieren oft auf anderen Chemikalien, die wiederum aus anderen Chemikalien hergestellt werden usw. An jedem Schritt in dieser Kette sind mehrere Zulieferer beteiligt, die unterschiedliche Produktionstechnologien in verschiedenen Teilen der Welt einsetzen. Der Überblick fehlt. Kurz gesagt, chemische Lieferketten sind häufig global, kompliziert und ziemlich undurchsichtig - für unseren Laptop-Hersteller ist es fast unmöglich, genau zu bestimmen, wer in seiner Lieferkette Emissionen verursacht und welche Alternativen es gibt. Daher kann das Laptop-Unternehmen kein Gespräch mit ihren Lieferanten über deren Auswirkungen beginnen, weil es nicht weiß, welche das sind, und es kann nicht in Erwägung ziehen, den Lieferanten zu wechseln, weil es die Alternativen bei den Lieferanten nicht kennt.“
Beim Versuch, eine solche Lieferkette zu analysieren, kommt man schnell von Hölzchen auf Stöckchen. Carbon Minds wählt einen anderen Ansatz: „Wir lösen dieses Problem, indem wir die gesamte globale Chemieindustrie von Grund auf modellieren, d.h. wir beginnen mit den einzelnen Produktionsstätten und modellieren dann, wie diese entlang der gesamten Wertschöpfungskette miteinander verbunden sind. So können wir dem Laptop-Unternehmen Daten darüber geben, welche Auswirkungen seine Lieferanten haben, wo die Hotspots sind - den ganzen Weg durch seine Lieferkette also. Anhand dieser Daten können sie dann entscheiden, wie sie ihre Lieferanten einbinden oder wechseln können.“Mit dieser ökologischen Marktintelligenz in der Hand können Entscheidungsträger ihre Lieferketten durch die Auswahl nachhaltiger Lieferanten optimieren, auf den umweltbezogenen Druck der Marktkräfte reagieren und eine kosteneffiziente Reduzierung der Umweltbelastung erreichen. Zusammenfassend lösen wir Probleme, die sich um die Qualität, Verfügbarkeit und Transparenz der Umweltdaten eines Unternehmens drehen.“
Die Daten können für eine detaillierte Lieferketten-Analyse genutzt werden, für eine Lebenszyklus-Analyse, aber auch, um einen digitalen Zwilling von einer einzelnen Anlage bis zu einem gesamten Unternehmen aufzubauen, an dem sich Möglichkeiten zur CO2-Reduktion erkennen lassen. Laut der Firmenwebseite hat Carbon Minds dafür 30000 Datensätze zu 1000 Chemikalien in 150 Regionen gesammelt. „Carbon Minds‘ Innovation ist unser digitales Modell der chemischen Industrie. Niemand vor uns hat ein Modell der Industrie erstellt, das jede einzelne Produktionsanlage für großvolumige Chemikalien explizit modelliert, um dadurch die ökologischen Auswirkungen der Lieferketten genau bestimmen zu können. Durch die Modellierung der Produktionsstätten von über 2000 einzelnen Produzenten haben wir ein Modell von beispiellosem Umfang und Detailreichtum geschaffen“, sagt Kätelhön. „Der maßgeblichste Moment für uns war, als wir feststellten, dass viele relevante Informationen zur Modellierung eigentlich schon vorhanden sind, z.B. technische Daten zu einzelnen Anlagen und Handelsströme.“
Informationen zu den Umweltwirkungen waren allerdings allenfalls als nationale Durchschnittswerte verfügbar, wenn überhaupt. Die Umweltauswirkungen des gleichen Produkts von unterschiedlichen Lieferanten zu vergleichen, war kaum möglich.
Was allerdings fehlte, war eine systematische Berechnung der ökologischen Auswirkungen der vielen Chemieanlagen, die über grobe nationale Durchschnitte hinausgingen. Dadurch konnte man auf Basis bestehender Daten in vielen Fällen nicht zwischen den ökologischen Auswirkungen verschiedener Produzenten des gleichen Produkts differenzieren. „Die Daten aus unserem Modell sind anders. Da wir die Produktion vieler Chemikalien und Kunststoffen anlagenspezifisch modellieren, können unsere Kunden auf Basis der Daten die ökologisch nachhaltigsten Produzenten identifizieren und so ihre Wertschöpfungskette systematisch optimieren“, sagt Kätelhön.
Die Idee zu Carbon Minds entstand an der RWTH Aachen, wo Kätelhön und sein Mitgründer Raoul Mey ein Team leiteten, das Nachhaltigkeitsbewertungen mit einem Fokus auf die Chemieindustrie entwickelte. Im Zuge dieser Arbeiten stießen sie immer wieder auf Probleme bei der Datenverfügbarkeit für Lieferketten. „Wir haben begonnen, eigene Modelle der Lieferketten zu bauen, die dann immer größer und genauer wurden. Dadurch konnten wir dann ganz neue Einblicke über CO2-Vermeidungsstrategien in der Chemieindustrie gewinnen, die hohe praktische Relevanz hatten.“
Nachdem sie dieses Wissen zunächst ausschließlich für wissenschaftliche Veröffentlichungen genutzt hatten, merkten sie bald, dass die Modelle sich immer weitere skalieren liegen, um die Umweltauswirkungen der chemischen Industrie großflächig zu beschreiben. „Und genau das ist eine wichtige Grundlage für eine erfolgreiche Transition der Chemieindustrie bis hin zur CO2-Neutralität. In diesem Moment war die Idee von Carbon Minds geboren.“
Die Reaktionen aus der Industrie waren sehr positiv: „Wir waren extrem positiv davon überrascht, wie schnell und weitreichend unsere Daten von einigen der weltgrößten Produzenten aufgenommen und genutzt wurden. Es gab natürlich umfangreiche Qualitätsprüfungen seitens unserer Kunden, bevor die Daten eingesetzt wurden. Wir fanden es aber toll zu sehen, wie offen unsere Partner gegenüber neuen Innovationen und Partnerschaften mit Startups sind.“
Beim ACHEMA-Gründerpreis wollen die Gründer mit neuen Partnern in Kontakt kommen und Feedback von Fachleuten, Experten und Zuhörern bekommen, um ihr Produkt noch weiter zu verbessern. Sie sind aber auch auf der Suche nach Kunden, Kooperationspartnern und nicht zuletzt neuen Mitarbeitern. „Wir sind sehr stolz, unser Produkt, unsere Idee und unseren Spirit dem breiten Publikum der ACHEMA zu präsentieren und Teil der Zukunft der Chemie, Verfahrenstechnik und Biotechnologie zu sein.“
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