Lab Innovation
03.05.2021 | Die Messe
Wie stark muss ein Medikament dosiert sein, damit es zuverlässig wirkt? Was zur Zeit anhand von Impfstoffen für Kinder intensiv diskutiert wird, gilt für praktisch jeden pharmazeutischen Wirkstoff: Wie viel davon ein Individuum für die optimale Wirkung bei minimaler Nebenwirkung braucht, hängt von einer ganzen Reihe Faktoren ab. Cenios will mit seiner quantitativen Point-of-Care-Diagnostik zu besseren Therapien beitragen.
„Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“ – diese Aussage aus der Pharmakologie ist mittlerweile fast schon eine Binsenweisheit. Doch nicht nur der körperliche Entwicklungsstand, auch viele andere Faktoren wirken sich darauf aus, wie ein Medikament individuell wirkt. Geschlecht, Alter, Gewicht oder auch der persönliche Stoffwechsel entscheiden darüber, welche Dosis für eine optimale Wirkung notwendig ist. Mag es bei Aspirin oder einem Durchfallmittel nicht schlimm sein, wenn es ein bisschen zu viel oder zu wenig ist, sieht es bei Zytostatika oder Antibiotika mit hoher Wirksamkeit, aber eben auch möglichen starken Nebenwirkungen, ganz anders aus.
„Personalisierte Medizin“ fängt also schon lange vor dem individualisierten Wirkstoffmolekül an. Gleichzeitig ist die Kontrolle eines Medikamentenspiegels und damit die Festlegung der Tagesdosis sehr schwierig. „Bisher stehen keine einfachen labormedizinischen Verfahren zur Ermittlung des Medikamentenspiegels der Patienten in Arztpraxen oder auf der Station im Krankenhaus zur Verfügung. Durch unsere Methode kann der Grad der individuellen Metabolisierung der Medikamente „vor Ort“ ermittelt werden“, erklären die Gründer von Cenios Prof. Dr. Angela Hamann, Dr. Mohammad Salehi, Katharina Rudi, Hannes Nölker, Tilman Stüwe und Magd Khalil. Das Besondere: im Unterschied zu bisher „typischen“ Sofortdiagnostik-Methoden wie Schwangerschafts- oder Coronatests sollen die Test-Kits von Cenios nicht nur anzeigen, ob eine gesuchte Substanz vorhanden ist oder nicht, sondern mit Hilfe eines Lesegeräts eine quantitative Bestimmung liefern. Das war bisher nur mit aufwändigen Laboruntersuchungen möglich. „Über unsere neuen Produkte mit 100-fach günstigeren Herstellungskosten können die gewünschten Resultate in wenigen Minuten „Vor-Ort" ermittelt werden, wodurch auch Wartezeiten und Analysekosten deutlich reduziert werden“, sagen die Gründer. „Unsere Methode kann in Deutschland als schnelle Alternative und in Drittweltländern als letzte Hoffnung zur personalisierten Dosierung der Medikamente in Betracht gezogen werden.“
Doch die Einsatzmöglichkeiten sind nicht auf therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) beschränkt. „Unsere innovative Methode kann auch für andere Fragestellungen eingesetzt werden, z.B. zur einfachen und schnellen Überwachung von Toxinen in Lebensmitteln, Futtermitteln oder in Gewässern.“ Aber auch in der Medizin zeichnen sich weitere Anwendungen ab, die die Gründer im Blick haben: „Wir sehen die Herstellung von innovativen und preisgünstigen Sofortdiagnostika als unsere langfristige Aufgabe. Unsere qSERS-Kits zwecks personalisierter Dosierung der Medikamente sind unsere ersten vermarktbaren Produkte. Wir hoffen, dass in absehbarer Zeit eine unserer weiteren Methoden zur rechtzeitigen Detektion der Sepsis vermarktbar werden.“
Hinter der Entwicklung von Cenios steckt ein Team aus sechs Personen, das sich an der Hochschule Osnabrück gefunden hat. Prof. Angela Hamann ist Geschäftsführende Gesellschafterin und wissenschaftliche Koordinatorin. Dr. Mohammad Salehi ist Nanodesigner und ebenfalls Geschäftsführender Gesellschafter. Katharina Rudi übernimmt als Expertin für Assay Development die Produktionsleitung, während Hannes Nölker für Administration und Finanzen zuständig ist. Vervollständigt wird das Team von dem Medizintechniker Tilman Stüwe als Produktmanager und dem Informatiker Magd Khalil als Softwareentwickler. „Unser Team mit dem Schwerpunkt Nanomedizin besteht aus Physiker*innen, Chemiker*innen, Biolog*innen, Mediziner*innen und Ingenieur*innen. Zur Bestimmung des Medikamentenspiegels haben wir die bekannten Technologien aus den Bereichen Chemie, Biologie, Medizin und Physik miteinander verknüpft.“ Die Hochschule bietet den Gründer*innen die Möglichkeit, an der Entwicklung von neuen Methoden, Prototypen sowie deren Massenherstellung zu arbeiten.
Dabei haben die sechs schon festgestellt, dass der Erklärungsbedarf ihres Produkts je nach Adressat sehr unterschiedlich ist. „Die Überzeugung der unterschiedlichen Expert*innen von neuen Technologien zeigte sich bisher als sehr schwierig und zeitaufwendig. Zur Realisierung der Produktion müssen sowohl wissenschaftliche als auch wirtschaftliche Fragen geklärt werden.“ Während der Patentierungsprozess und die Überzeugung der Naturwissenschaftler*innen einfacher gewesen sei als erwartet – auch wenn auch dieser Prozess zeitaufwändig war – legen potenzielle Investoren Wert auf andere Aspekte: „Die naturwissenschaftlichen Fortschritte sind in der Regel für die Wirtschaftswissenschaftler*innen bedeutungslos, diese möchten vor allem erst die erzielten Umsätze überprüfen. Dies wird besonders problematisch, da unsere Produkte ohne medizinische Zertifizierung nicht in Deutschland verkauft werden dürfen.“
Doch auch von solchen Hürden lassen sich die Gründer*innen nicht entmutigen, denn hinter ihrem Engagement stecken auch persönliche und ideelle Motive: „Wir haben uns neben dem finanziellen Interesse auch das Interesse unseren Mitarbeiter*innen weiterhin eine interessante, befriedigende und lohnenswerte Arbeitsstelle zu bieten. Wir denken, dass durch diese Technologie ebenfalls die Verbesserung der Lebensqualität aller Menschen auf der Welt erreicht werden kann. Dieses haben wir uns zur Lebensaufgabe gemacht. Wir können als Wissenschaftler*innen und Geschäftsleute ein faires Gleichgewicht zwischen Moral und Profit erreichen.“ Deshalb haben sie bisher auf Kaufangebote und Interesse an der Übernahme der Technologie nicht reagiert. Als Startup in der Frühphase freuen sie sich aber ansonsten über jede Hilfe und Unterstützung und wollen dafür auch die Chancen nutzen, die ihnen ACHEMA Pulse und ACHEMA bieten, um ihr Netzwerk zu erweitern und zusätzliche Expertise einzubinden. „Wir suchen Investor*innen, Vertriebspartner*innen und auch industrielle Kooperationspartner*innen bzw. Geräthersteller. Dadurch möchten wir unsere Produkte schneller herstellen, zertifizieren und auf den Markt bringen.“
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