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24.07.2020 | Forschung trifft Praxis
Die deutsche Chemieindustrie ist nach Umsatz die viertgrößte der Welt und ein Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft. Entsprechend groß war das Interesse, als die DECHEMA im Oktober 2019 eine Studie im Auftrag des Verbands der Chemischen Industrie veröffentlichte, aus der hervorgeht, dass die deutsche chemische Industrie bis 2050 treibhausgasneutral werden könnte.
Die chemische Industrie hat in den letzten Jahrzehnten bereits enorme Fortschritte gemacht und Wachstum und Treibhausgas-Ausstoß zumindest teilweise entkoppelt. Aber „treibhausgasneutral“? Das erscheint dann doch – vorsichtig formuliert – recht ehrgeizig.
Die Studie “Roadmap Chemie 2050” skizziert drei verschiedene Entwicklungspfade:
Die Unternehmen produzieren weiterhin ausschließlich mit den heutigen Technologien. Ihre Investitionen bleiben auf dem gegenwärtigen Niveau und dienen der Erhaltung und Effizienzsteigerung der Anlagen. Mechanisches Kunststoffrecycling wird wichtiger. Durch den wachsenden Anteil an erneuerbarem Strom und Effizienzgewinne in den chemischen Verfahren nehmen die Treibhausgasemissionen der chemischen Industrie bis 2025 um 27 % ab, wobei der wesentliche Teil dieser Abnahme bis 2030 erfolgt sein wird.
Die chemische Industrie setzt neue Produktionsverfahren für Basischemikalien wie Ammoniak oder Methanol ein, unterliegt dabei aber betriebswirtschaftlichen und technischen Restriktionen: Es wird angenommen, dass 2050 maximal 225 TWh erneuerbarer Strom für die chemische Industrie zur Verfügung stehen (das entspricht in etwa der gesamten Strommenge aus erneuerbaren Quellen in Deutschland derzeit). Zudem ist das zusätzliche Investitionsbudget auf 1,5 Milliarden Euro pro Jahr begrenzt. Neue Technologien zur CO2-Minderung werden eingeführt, sobald sie wirtschaftlich sind. Im Vergleich zum Referenzpfad sinken die Treibhausgasemissionen signifikant, und zwar auch nach 2030, um insgesamt 61 % bis 2050.
In diesem Szenario stehen sowohl erneuerbare Energie als auch Investitionsbudgets unbegrenzt zur Verfügung. Neue Technologien, die den Treibhausgasausstoß senken, werden eingeführt, sobald sie verfügbar sind, ungeachtet ihrer Wirtschaftlichkeit. Technologische Entwicklungen werden beschleunigt, etwa durch höhere öffentliche Förderung. Unter diesen Annahmen kann die chemische Industrie ihren Treibhausgasaustoß bis 2050 um nahezu 100 % senken.
Der Pfad zur Treibhausgasneutralität ist der Spannendste – nicht nur, weil er der Ehrgeizigste ist, sondern auch wegen der profunden Technologie-Analyse, anhand der er entwickelt wurde. Ausgehend von ihrem derzeitigen technologischen Reifegrade („Technology Readiness Level, TRL“; ein TRL von 9 bedeutet, dass das Verfahren bereit ist für den großindustriellen Einsatz) wurden verschiedene Technologien darauf untersucht, wie lange sie bis zur Marktreife brauchen, welchen Einfluss sie auf CO2-Emissionen haben und wann sie wirtschaftlich wettbewerbsfähig sind. Daraus wurde eine Zeitschiene für ihre Einführung abgeleitet.
Die Prozesse, um die es geht, sind die für die Produktion der energie- und feedstockintensivsten Grundchemikalien Chlor, Ammoniak, Harnstoff, Methanol, Ethylen, Propylen und Butadien sowie die Aromaten. Sie bilden die Grundlage für einen Großteil des Produktportfolios der chemischen Industrie, und ihre Produktion ist heute für 75 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Während einige Produktionsprozesse wie etwa die derzeitige Chlor-Alkali-Elektrolyse vermutlich nicht durch disruptive Verfahren ersetzt werden, könnten andere Produkte zukünftig aus einer völlig neuen Rohstoffbasis stammen, in der Biomasse, Wasserstoff und die Nutzung von CO2 eine wesentliche Rolle spielen.
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