01.03.2022 | Process Innovation

Interview mit Andreas Förster | DECHEMA

Fast ein Jahr ist es her, dass Andreas Förster die Geschäftsführung der DECHEMA in einer Zeit großer Umbrüche übernommen hat. Er spricht darüber, was die Branche in Zukunft prägen wird.

ACHEMA Inspire: Zunächst einmal würde mich angesichts Ihrer langen Geschichte bei der DECHEMA interessieren, was Sie dort gehalten hat?

  • __Andreas Förster: Ich schätze die Möglichkeit, mich immer wieder mit neuen Themen auseinandersetzen zu können und das extrem breite Spektrum an Themen. Die Chance, die Zukunft der Prozessindustrie und Biotechnologie mitzugestalten und neuen Technologien zum Durchbruch zu verhelfen, motiviert mich. Außerdem ist es sehr spannend zu sehen, wie viel enger Experten aus Universitäten, Forschungsinstituten und Großforschungseinrichtungen heute mit Kollegen aus der Industrie zusammenarbeiten können als noch vor 10 Jahren.
    Und vor allem genieße ich die Möglichkeit, mit den besten Experten zusammenzuarbeiten: Vom Vorstand bis zu den Steuerungsgremien von ProcessNet und Biotechnology, den Vorsitzenden und Mitgliedern unserer Ausschüsse, den Veranstaltungsteilnehmern, den Projektpartnern und so vielen anderen - eine solche Expertise zu erleben und mit ihnen gemeinsam etwas zu bewegen, das motiviert mich wirklich.

ACHEMA Inspire: Sie kommen mit dem, was an anderer Stelle als klare strategische Ausrichtung beschrieben wurde. Können Sie das näher erläutern?

  • __Andreas Förster: Ich verfolge drei zentrale Ziele: 1. Den Kern der DECHEMA zu stärken. Sie bietet Aktivitäten zu ihren Themen an, die von Gremien und Veranstaltungen über Projekte und Fortbildungen bis hin zu Dienstleistungen und Auftragsstudien reichen. Künftig werden unsere Produkte und Dienstleistungen stärker integriert, um Synergien zu nutzen und die Rolle der DECHEMA als Anlaufstelle für die jeweiligen Themen zu stärken. Unsere Mitglieder sind das Fundament dieser gemeinnützigen Gesellschaft. Sie sichern die Kontinuität des Fachwissens in der Chemischen Technik und Biotechnologie. Sie werden sich in Zukunft noch stärker engagieren und untereinander vernetzen, um ihnen den größtmöglichen Mehrwert zu bieten. 2. Stärkung der finanziellen Basis. Kostentransparenz und Serviceorientierung sind Voraussetzungen dafür, dass die DECHEMA nach innen und außen stets den bestmöglichen Service bieten kann. Sie sind die Richtschnur für die Auswahl und Gestaltung unserer Aktivitäten und die Basis, um stets professionell und effizient zu arbeiten. 3. Erschließung neuer Einnahmequellen. Um den finanziellen Spielraum für gemeinnützige Aktivitäten zu erhalten und zu erweitern, werden wir bestehende Einnahmequellen ausbauen und neue erschließen. Dazu gehören vor allem die Beauftragung von Studien, Analysen und Beratungsleistungen für Auftraggeber aus der Wirtschaft, dem Finanzsektor, von Verbänden und anderen Organisationen.

ACHEMA Inspire: Sie werden jetzt auch ein Umstrukturierungsprojekt in Angriff nehmen, zu dem auch eine stärkere Vernetzung gehören wird. Wie wichtig ist das in der aktuellen Situation?

  • __Andreas Förster: Eine bessere Vernetzung ist unabhängig von der aktuellen Situation extrem wichtig. Das manifestiert sich auch in der Satzung der DECHEMA: Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und Ingenieuren aus Wissenschaft, Technik und Verwaltung zu fördern.
    So ist es für uns von größter Bedeutung, die Zusammenarbeit zwischen unseren Disziplinen zu intensivieren, denn gerade an den Schnittstellen entstehen neue Themen und Herausforderungen. Ein Beispiel ist die Synergie zwischen dem Energie- und dem Wasser-/Abwassersektor, in dem die Energiewende neue Herausforderungen und Chancen schafft. Das gilt auch für unsere Ausschüsse, wo die Vernetzung zwischen den Fachgruppen immer wichtiger wird. Wir haben bereits gemeinsame Veranstaltungen, Papiere und Initiativen. In Zukunft werden wir diese Vernetzung und damit das Aufgreifen neuer Themen noch intensiver angehen, indem wir eigene Arbeitsgruppen genau für diese Themen einrichten.

ACHEMA Inspire: Die Welt der Chemischen Technik und Biotechnologie entwickelt sich ständig weiter. Worin sehen Sie die zentralen Herausforderungen für 2022?

  • __Andreas Förster: Neben der Unsicherheit über steigende Energiepreise und pandemiebedingten Lieferkettenproblemen befindet sich die chemische Industrie in einem Wandel. Zu den Herausforderungen gehören ein starker internationaler Wettbewerb, begrenzte Ressourcen und vor allem der zunehmende Druck, den Klimaschutz und die Nachhaltigkeit von Prozessen und Produkten zu intensivieren.
    Drei davon möchte ich hier nennen. Erstens: Die Defossilisierung von chemischen Produkten und Produktionsprozessen. Die chemische Industrie wird ein energie- und rohstoffintensiver Sektor bleiben. Die Unternehmen entwickeln neue Wege, um chemische Stoffe hocheffizient, ressourcenschonend, treibhausgasneutral und damit klimafreundlich herzustellen. Dies wird sich weiter intensivieren.
    Neue technologische Lösungen sind notwendig, um die CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren. Die Nutzung erneuerbarer Energien über die Elektrifizierung chemischer Prozesse (Power-to-X), die Sektorkopplung und die Schließung von Stoffkreisläufen (von der CO2-Umwandlung bis zum Recycling von Polymeren oder Mineralstoffen) werden zunehmend an Bedeutung gewinnen. Zweitens: Kreislaufwirtschaft. Die intensive Nutzung alternativer biogener und nachwachsender Rohstoffquellen, die Erschließung und Verwertung von Abfallströmen und die Substitution von klima-, umwelt- und gesundheitsschädlichen Chemikalien sind ebenfalls notwendig. Beispiele hierfür sind die intensiven Aktivitäten zur CO2-Konversion und -Nutzung, aber auch das chemische Recycling von Polymeren. Schließlich: Flexibilisierung der Produktion. Ein großer Teil der Wertschöpfung liegt in maßgeschneiderten Produkten, unter anderem in der Spezial- und Feinchemie, der Pharmazie und der Landwirtschaft. Um den sich ändernden Kundenbedürfnissen gerecht zu werden, sind ein höherer Grad an Diversifizierung und Digitalisierung und vor allem die Modularisierung und Nutzung von Prozessdaten durch moderne Modellierungs-, Simulations- und KI-Tools erforderlich.

ACHEMA Inspire: Und welche Rolle spielt die DECHEMA dabei?

  • __Andreas Förster: Sie ist ein Katalysator für die schnelle Entwicklung und Umsetzung von Technologien. Wir ebnen den Weg durch strategische Analysen und die Erstellung entsprechender Papiere, die gemeinsam mit der Fachwelt entwickelt werden. Wir helfen bei der inhaltlichen Vorbereitung von öffentlichen Förderausschreibungen und sind kompetente Partner in F&I-Projekten. Und wir unterstützen die Verbreitung dieses neu erworbenen Know-hows durch unsere Konferenzen und Aktivitäten für junge Wissenschaftler. So haben wir beispielsweise im Bereich der Defossilisierung mit unseren Studien zur CO2-Nutzung aus den Jahren 2008/2009, der Technologie-Roadmap "Energy and GHG Reductions in the Chemical Industry via Catalytic Processes" aus dem Jahr 2012, dem Diskussionspapier "Electrification of Chemical Processes" 2015 und den Studien "Low carbon energy and feedstock for the European chemical industry" 2017 sowie der Roadmap "Chemistry 2050" aus dem Jahr 2019 die Entwicklung bereits sehr früh und kontinuierlich analysiert und begleitet.
    Die DECHEMA koordiniert und ist ein zentraler Partner in zahlreichen F&E-Projekten, die die Entwicklung und Umsetzung der notwendigen Technologien vorantreiben. Ein Beispiel ist das Kopernikus-Projekt P2X. Ziel ist es, durch die Dekarbonisierung des Stromsektors die Defossilisierung anderer Sektoren zu ermöglichen. Im Rahmen von zwei Technologiepfaden wird Strom aus erneuerbaren Quellen über die Wasserelektrolyse oder die Co-Elektrolyse von Wasser und CO2 in Wasserstoff oder Synthesegas umgewandelt und daraus Energieträger sowie chemische Produkte gewonnen. Das übergeordnete Ziel ist es, durch PtX-Technologien CO2-Reduktionen in den oben genannten Sektoren zu erreichen. Ein weiteres Beispiel ist das H2Giga-Projekt. Die Herausforderung, die Elektrolyse in den Gigawattbereich zu skalieren, erfordert eine andere Produktionstechnologie, die massentauglich und kostengünstig sein muss. Dies ist das Ziel von H2Giga.
    Im Rahmen des Projekts wird die Skalierung mit drei Technologien verfolgt - alkalische Elektrolyse, PEM-Elektrolyse und SOEC-Elektrolyse. Für jede dieser Technologien wurde ein eigenes Konsortium gegründet, das mit anderen Aktivitäten im Rahmen von H2Giga vernetzt wird.
    Die Ergebnisse werden der Gemeinschaft durch regelmäßige Veranstaltungen innerhalb des Rahmens und durch Veröffentlichungen der Projekte zugänglich gemacht. Die Ergebnisse des P2X-Projekts werden auch in einer Ausstellung greifbar gemacht, die im Rahmen des Projekts "Science Communication Energy Transition" organisiert wird. Ähnliche Aktivitäten finden auch für die anderen Themen statt.

| Originalversion veröffentlicht in ACHEMA Inspire, Ausgabe März 2022/Deutsche Übersetzung durch DECHEMA Ausstellungs-GmbH |

Autor

ACHEMA Inspire staff

World Show Media

www.worldshowmedia.net

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