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08.05.2023 | Hydrogen Innovation
In ganz Europa war die Bedeutung von Wasserstoff im Hinblick auf die Suche nach sauberen Kraftstoffen und die verringerte Abhängigkeit von russischem Öl und Gas noch nie so groß wie heute. Aus diesem Grund stellt eine kürzlich durchgeführte Forschungsreise in eines der am dünnsten besiedelten Länder Südwestafrikas nicht nur einen bedeutenden Schritt auf dem Weg zur Energiewende in Deutschland dar, sondern ist auch ein innovatives Beispiel für die internationale Zusammenarbeit bei einem der größten Probleme unseres Planeten. Die Reise, an der eine Delegation zweier Frankfurter Institutionen, der DECHEMA und des Instituts für sozial-ökologische Forschung, teilnahm, bildete den zweiten Teil eines zweieinhalbjährigen Projekts, das nicht nur beiden Ländern zugutekommen soll, sondern auch weitreichende Vorteile mit sich bringt.
Langfristiges Ziel ist es, die Produktion von grünem Wasserstoff in Namibia zu fördern und dabei die natürlichen Ressourcen des Landes zu nutzen, um ihn dann kostengünstig nach Deutschland zu exportieren. Es ist die jüngste Initiative, die die finanzielle Unterstützung des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung erhält, das internationale Wasserstoffpartnerschaften ausbauen möchte, um die Lücke in den eigenen Kapazitäten des Landes zu schließen. Mit anderen Worten, es ist eine ideale Verbindung zwischen einer europäischen Regierung, die auf das Potenzial von grünem Wasserstoff zur Ergänzung ihrer Energiewendepläne setzen will, und einer afrikanischen Republik, die über eine Fülle von Schlüsselelementen wie Wind und Sonne verfügt und nach ernsthaften internationalen Investitionen sucht, um sich als erster Anbieter von grünem Wasserstoff auf dem Kontinent neu zu erfinden.
Im Kampf gegen den Klimawandel ist Wasserstoff, der aus erneuerbarem Strom hergestellt wird, ein wichtiges Instrument zur Dekarbonisierung problematischer Emissionssektoren wie der Schwerindustrie und der Luftfahrt. Deutschlands Nationale Wasserstoffstrategie unterstreicht die eigenen Ambitionen, angesichts der Tatsache, dass der Bedarf an dieser Energiequelle bis zum Jahr 2030 auf 90 bis 110 Terawattstunden (TWh) ansteigen wird, eine weltweit führende Rolle bei den entsprechenden Technologien zu übernehmen.
Die Regierung in Windhoek schätzt, dass Namibia bis zum Jahr 2040 bis zu 181 Mrd. EUR an Investitionen benötigen wird. Aber die Erträge sind potenziell enorm. Nach Schätzungen der Minister könnte eine starke Wasserstoffindustrie einen Beitrag zum BIP des Landes in Höhe von 5,5 Milliarden Euro leisten. Der erste Besuch der deutschen Delegation fand im Dezember letzten Jahres statt und dauerte zwei Wochen. Dabei erörterten die ISOE-Delegierten Bereiche wie Transformationsmanagement und soziale und ökologische Auswirkungen, aber auch lokalere Themen wie Landnutzungskonflikte. Der Fokus des DECHEMA-Teams lag auf den technischen Aspekten der Wasserstoffproduktion, der Marktentwicklung und dem Wassermanagement.
Das Projekt unterstützt die seit langem bestehenden Pläne Namibias, bis zum Jahr 2025 ein ernstzunehmender Exporteur von grünem Wasserstoff zu werden - eine natürliche Entwicklung für ein Land, das als das trockenste in der Region südlich der Sahara bekannt ist und laut Präsident Hage G. Geingob über das Potenzial verfügt, an 300 Tagen im Jahr etwa 10 Stunden starkes Sonnenlicht pro Tag einzufangen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist Wasser, das an der Südatlantikküste im Überfluss vorhanden ist, aber in einem Land, das unter schrecklichen Dürreperioden leidet. Und das bedeutet, dass eine ausreichende Anzahl von Entsalzungsanlagen gebaut werden muss, ein Thema, in dem der DECHEMA-Projektkoordinator Dr. Daniel Frank über große Erfahrung verfügt.
"Namibia ist im Moment eine vergleichsweise kleine Volkswirtschaft", sagt er. "Dort gibt es keine großen Industrien. Es gibt einen stabilen Bergbau- und Fischereisektor, aber nur wenig produzierende Industrie, und man hofft, dass die Wasserstofferzeugung einen sehr positiven Einfluss haben, Arbeitsplätze schaffen und das Land zu einem nachhaltigen Hafen für die weltweite Erzeugung erneuerbarer Energien machen kann. Auch die neuesten Öl- und Gasvorkommen können dazu beitragen, da sie der Wirtschaft Vermögenswerte zuführen, aus denen sie die Wasserstoffentwicklung finanzieren könnten."
Aber er fügte hinzu: "Die Menschen dort sind immer noch skeptisch. Es kann entweder etwas sein, das funktioniert, oder es kann auch etwas sein, das die Regierung verspricht, aber im totalen Chaos endet. Wir müssen die Botschaft vermitteln, dass es tatsächlich von Nutzen sein kann, wenn es richtig gemacht wird."
Der Zynismus, auf den er anspielt, wurde auf lokaler und nationaler Ebene aktiv geäußert. Namibias offizielle Oppositionspartei PDM hat viele Fragen im Hinblick darauf aufgeworfen, wer davon profitieren würde, während regionale Führer einen Mangel an Transparenz beklagt haben. Aus deutscher Sicht ist die Angelegenheit jedoch viel einfacher. Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck hat sich mit einer einfachen Botschaft zu Wort gemeldet: "Es gibt kaum einen besseren Ort auf der Welt, um grünen Wasserstoff aus Wind- und Sonnenenergie zu erzeugen." Und Rainer Baake, der ehemalige Energiestaatssekretär, den er zum Sonderbeauftragten für die Energiekooperation mit Namibia ernannt hat, machte deutlich, dass eine solche Zusammenarbeit für beide Seiten Vorteile bringt: "Es ist eine echte Win-Win-Situation."
Präsident Geingob machte in seiner ersten Rede vor dem Weltwirtschaftsforum keinen Hehl aus den Ambitionen seines Landes. Er erkannte die 'wohlbekannte' Tatsache an, dass es nicht genug sauberen Strom gibt, um die weltweite Nachfrage zu decken, und zitierte den IEA-Bericht 'Net Zero 2050', in dem festgestellt wird, dass "schwer abbaubare Sektoren wie Zement, Stahl und Chemikalien, der Straßengüterverkehr, die Containerschifffahrt und die Luftfahrt grünen Wasserstoff brauchen werden, wenn die Welt auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2050 bleiben soll". Er fügte hinzu: "Namibia ist ressourcenmäßig besser positioniert und hat auch den politischen Willen, diesem Ruf zu folgen."
Um weitaus mehr grünen Wasserstoff wettbewerbsfähig zu produzieren, bräuchte ein Land eine erstklassige Übertragungsinfrastruktur, internationale Hafenanlagen, Wind- und Solarressourcen von höchster Qualität, Zugang zu nachhaltigen Quellen für sauberes Wasser – ohne bestehende Verbraucher zu verdrängen - viel Land und ein günstiges gesetzliches Umfeld. Alle diese Voraussetzungen sind in Namibia vorhanden. "Unser Land beherbergt bereits jetzt die größte Entsalzungsanlage im südlichen Afrika, was bedeutet, dass die Bedingungen für die Erzeugung von reichlich sauberem Wasser in einem Wüstenland jetzt günstig sind."
In der Praxis werden drei Wasserstoff-Täler entstehen: von Kharas im Süden über die zentrale Region in der Nähe des Hafens von Walvis Bay bis hin zum Kunene im Norden. Die ersten Schritte wurden 2021 mit dem Start der Southern Corridor Development Initiative eingeleitet.
Das Land strebt außerdem die Entwicklung eines integrierten grünen Ökosystems im gesamten südlichen Afrika an, das durch grüne Verkehrskorridore und gemeinsame Infrastrukturen wie Häfen, Pipelines und Übertragungsnetze erreicht werden soll.
Überschüssige Stromexporte in den Southern African Power Pool könnten die Energiesicherheit weiter erhöhen und die Energiekosten in der Region senken. Und wenn Untersuchungen wie die laufende, von der DECHEMA unterstützte Studie die Machbarkeit der Wasserstoffproduktion und des Exports nachweisen, könnte das Konzept auf andere Regionen übertragen werden. Damit würde eine Grundlage für die weltweite Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft geschaffen. Green Hydrogen würde damit einen wichtigen Beitrag zur Klimaneutralität sowie zur sozioökonomischen Entwicklung des globalen Südens leisten. Das alles ist ermutigend für die DECHEMA und ihr Projekt GreeN-H2-Namibia.
Dr. Frank fügt hinzu: "Ich freue mich sehr darauf, an diesem Projekt zu arbeiten und die Aktivitäten hier zu koordinieren, weil ich glaube, dass wir viel zur Entwicklung in Namibia beitragen können. Was die internationale Zusammenarbeit betrifft, so kann sie zu einer größeren Akzeptanz deutscher Aktivitäten führen und zeigen, dass nicht alle Deutschen ihre Ideen diktieren wollen, sondern ihrem Gegenüber aufmerksam zuhören. Er sagte: „Viele Menschen haben keine Vorstellung davon, was eine Wasserstoffwirtschaft für Namibia bringen kann. Es ist eine einfache Frage von 'wir brauchen dies – wir haben das'. Dies könnte Namibia enormen Wohlstand bringen."
Die DECHEMA- und ISOE-Delegation reiste gemeinsam mit der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger, nach Kapstadt und Windhoek, wo sie von Präsident Geingob empfangen wurde. Im State House übergab die Bundesministerin Förderbescheide für vier vom BMBF mit knapp 30 Millionen Euro geförderte Pilotprojekte im Rahmen der deutsch-namibischen Wasserstoffpartnerschaft. Die Projekte befassen sich mit der Herstellung und Nutzung von grünem Wasserstoff und werden bis Ende des Jahres erste Ergebnisse vorlegen. Die Ministerin hat außerdem das Stipendienprogramm 'Youth for Green Hydrogen' ins Leben gerufen, das es jungen Namibiern ermöglicht, ihre Ausbildung mit Aufenthalten an deutschen Hochschulen zu verbinden. In der ersten Runde wurden 64 Stipendien für Masterstudiengänge vergeben.
Dr. Frank traf sich mit dem Premierminister der Westkap-Provinz, Alan Winde, um zu erörtern, inwieweit die Ergebnisse aus dem GreeN-H2 Namibia-Projekt auch für die Westkap-Provinz genutzt werden können. Weitere Gespräche über eine mögliche Zusammenarbeit sollen folgen. Dabei wird insbesondere der Wasserbedarf für die Herstellung von Wasserstoff eine Rolle spielen. Er sagte: "Ohne Wasser gibt es keinen Wasserstoff, das erleben wir gerade in Namibia und der Westkap-Provinz. Wir wollen hier auch Synergien schaffen, denn vieles von unserer Arbeit ist auch auf andere Regionen übertragbar – wir werden den Kooperationsgedanken unserer Aktivitäten weiter ausbauen."
Berlin ist auch mit anderen Ländern im Gespräch, die als Lieferanten in Frage kommen, darunter Chile, Marokko und Kanada. Im Oktober traf die erste Wasserstoff-Testlieferung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten im Hamburger Hafen ein, zumindest in der abgeleiteten Form von Ammoniak, was das Wirtschaftsministerium als "wichtigen Schritt beim angestrebten Aufbau einer umfassenden Wasserstoff-Wertschöpfungskette" bezeichnete. Das Ammoniak wird vom Multi-Metallproduzenten Aurubis für Testläufe zur klimaneutralen Umstellung der gasintensiven Kupferdrahtproduktion genutzt, "um langfristig fossile Brennstoffe zu ersetzen."
Die Konferenz folgte auf einen Besuch von Wirtschaftsminister Robert Habeck in Abu Dhabi Anfang des Jahres. Die Internationale Agentur für erneuerbare Energien hat China als den günstigsten Ort für die langfristige Produktion von grünem Wasserstoff ermittelt. Chinesische Hersteller könnten bis 2050 zu einem Preis von etwas mehr als 0,65 Dollar pro Kilogramm (LCOH) liefern und liegen damit knapp vor Chile.
Namibia dürfte im Vergleich dazu mit Kosten von 1,20 bis 1,90 $/kg relativ teuer sein. Wenngleich einige Beobachter vermuten, dass dies mit der Ansicht von IRENA (International Renewable Energy Agency) zusammenhängen könnte, für die ein großer Teil des Landes aufgrund von Wasser- und anderen Beschränkungen - trotz der relativ niedrigen Kosten für die Entsalzung - "nicht in Frage kommt".
Namibia hat das Potenzial, bei der Entwicklung von grünem Wasserstoff eine Vorreiterrolle zu spielen und auf dem Weg zu mehr Energieunabhängigkeit voranzukommen. Seine Umwelteigenschaften waren die treibende Kraft hinter einem Joint Venture, das im vergangenen Jahr gegründet wurde, um die erste grüne Wasserstoffproduktionsanlage des Landes zu bauen. Die als Demonstrationszentrum für Wasserstoffanwendungen geplante Anlage wird in der Region Erongo von der O&L Group und CMB.TECH unter dem Dach von Cleanergy Namibia gebaut. Es handelt sich um die erste Anlage dieser Art auf dem Kontinent.
Die beiden Unternehmen sagen, dass, wenn alles gut läuft, eine Anlage in größerem Maßstab folgen wird, möglicherweise unter Verwendung von Ammoniak als Transportkraftstoff. Ziel ist es, grünen Wasserstoff aus Solarenergie zu erzeugen und den sauberen Kraftstoff für Anwendungen wie Lastwagen, Züge und Schiffe bereitzustellen. Der Vorstandsvorsitzende von O&L, Sven Thieme, sagte, dass dies der erste Schritt zur Schaffung einer völlig neuen Industrie in Namibia sein könnte, die einen Wissenstransfer in das Land ermöglicht, Möglichkeiten zur Höherqualifizierung bietet und Arbeitsplätze schafft.
Auf übergeordneter Ebene veranstalten die DECHEMA und die European Desalination Society (EDS) die International Conference on Desalination for the Green Hydrogen Economy, nachdem eine Vereinbarung zwischen DECHEMA-Geschäftsführer Andreas Förster und EDS-Präsidentin Ursula Annunziata unterzeichnet wurde.
Ein weiteres afrikanisches Land, das sich als kostengünstiger Energieexporteur nach Europa etablieren will, ist Marokko, das dank einer gemeinsamen Initiative des Instituts für Forschung in Solarenergie und neuen Energien und der Polytechnischen Universität Mohamed VI sein erstes grünes Wasserstoffsystem errichtet hat. Es handelt sich dabei um ein Mikropilotsystem zur Herstellung von kohlenstofffreiem Wasserstoff aus einem Elektrolyseur und photovoltaischen Solarzellen. Das Projekt ist Teil von 'Power-to-X', einem nachhaltigen Programm für die Herstellung synthetischer Kraftstoffe und die langfristige Energiespeicherung, dass die nachhaltige Mobilität im Land fördern soll. Die Internationale Agentur für erneuerbare Energien geht davon aus, dass das Land bis 2050 die drittniedrigsten Kosten für grünen Wasserstoff haben wird.
| Originalversion veröffentlicht in ACHEMA Inspire, Ausgabe Mai 2023/Deutsche Übersetzung durch DECHEMA Ausstellungs-GmbH |
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