Lab Innovation
08.06.2020 | Menschen
Jeder Mitarbeiter der DECHEMA Ausstellungs-GmbH kennt die Frage „was macht Ihr eigentlich, wenn keine Messe ist?“ Es antwortet: Ulrike Holthaus, technische Leiterin der ACHEMA.
Die technische Leitung mache ich seit 1995, vorher habe ich in der Ausstellerbetreuung gearbeitet und die Standvergabe gemacht, noch vorher war ich an der Katalogherstellung beteiligt. Mein momentaner Job macht mir von allen am meisten Spaß.
Wir sind ja nicht nur in Frankfurt aktiv, sondern auch in China. Für uns ist deshalb nach der ACHEMA vor der AchemAsia, denn die findet gleich im Folgejahr statt. Noch während die AchemAsia läuft, machen wir uns dann schon daran, die Teilnahmebedingungen und die technischen Richtlinien für die nächste ACHEMA vorzubereiten. Von außen kann man den Eindruck haben, dass die immer gleich aussehen, aber einfach nur copy-paste zu machen reicht nicht. Wir müssen sie immer nochmal durcharbeiten, gucken, ob sich in den drei Jahren gesetzliche Bestimmungen geändert haben und wie sich die Messelandschaft verändert hat. Auf der ACHEMA gibt es andere und viel größere Exponate als auf anderen Messen; viele arbeiten mit Druckluft oder brauchen spezielle Gase.
Jetzt, im Jahr vor der ACHEMA, bin ich mit meinem Team damit beschäftigt, das Bestellportal aufzusetzen und Dienstleister auszusuchen, zum Beispiel Standbaufirmen. Aussteller, die sich nicht selbst um den Standbau kümmern möchten, können ihn bei uns buchen. Der Dienstleister baut den Stand dann und wenn der Aussteller auf das Gelände kommt, steht der fertige Stand schon da.
Es gibt immer so einen bestimmten Tag, an dem die ACHEMA wirklich losgeht, aber man weiß vorher nicht an welchem. Das ist meistens irgendwann im März des ACHEMA-Jahres, und das ist wirklich wie eine Flutwelle. Eine Welle von Anrufen, von E-Mails, von Emotionen, von Allem; da geht die Post ab. Dann gibt es immer wahnsinnig viele Bestellungen, da sind viele Standpläne zu genehmigen. Man ist auf einmal überschwemmt, und die ACHEMA ist wirklich da; immer, auch am Wochenende. Es ist ein Gefühl wie im Schwimmbad ACHEMA. Dann geht es nur noch schnell, schnell, schnell. Man muss zügig Entscheidungen treffen können, sonst kann man diesen Job nicht machen. Am Ende haben wir immer noch alles hinbekommen, man darf sich da nicht so verrückt machen lassen. Gerade in dieser Zeit denke ich oft "ich habe den besten Job der Welt".
Wir übernehmen das Messegelände zwölf Tage bevor die ACHEMA eröffnet. Mehrere Teams, darunter vor allem die vier Bauleiter, gehen durch alle Hallen und stellen bestehende Schäden fest. So, wie man das auch macht, wenn man als Privatperson eine Wohnung übernimmt: sind Wände mit Farbe beschmiert, sind Löcher im Boden oder Glasscheiben in den Türen kaputt? Dann besprechen wir mit dem Vermieter, der Messe Frankfurt, was vor der ACHEMA unbedingt noch repariert werden muss.
Der Aufbau für die Aussteller dauert sieben Tage, einige wenige kommen damit nicht aus und kommen etwas eher. Zwei Tage vor Veranstaltungsbeginn ist das Gelände voll. Jeder packt seine Kisten aus, baut und dekoriert. Am letzten Tag sind wir intensiv damit beschäftigt, den Aufbau so zu kanalisieren, dass möglichst viele der tausenden von Kisten frühzeitig aus den Hallen gebracht werden können, damit der Müll rechtzeitig aus den Gängen entfernt wird und der Gangteppich gelegt werden kann. Dann liegen bei vielen die Nerven blank. Bei einigen Ständen kann es auch schon mal zu Konflikten kommen, weil sich einer ungerecht behandelt fühlt oder der Nachbar tatsächlich über die Standgrenze hinaus gebaut hat. Ich muss dann zusehen, wie ich das geregelt kriege und den Streit schlichten. Bei den Ausstellern heißt es „wenn die kommt, gibt’s Ärger“. Das stimmt wohl, aber damit kann ich leben.
Wenn die ACHEMA losgeht, bin ich auch für Sicherheit zuständig: Jeden Morgen gibt es eine Lagebesprechung mit der Messe Frankfurt, mit der Feuerwehr, mit der Polizei und mit der Veranstaltungstechnik. Da geht es auch um solche Sachen wie das Wetter, auch wenn das erstmal abwegig klingt. Es ist aber wichtig; bei feuchtwarmen Wetter sind die Klimaanlagen stark beansprucht, bei Starkregen haben auch schon Versorgungskanäle unter Wasser gestanden. Bei Sturm müssen unter Umständen Stände auf dem Freigelände geschlossen werden.
Am Abend des ACHEMA-Montags gibt es einen Punkt, an dem ich durchatmen kann. Das ist, wenn der Ausstellerabend „Meet your friends“ begonnen hat. Dann ist klar, der Aufbau hat gut geklappt hat, die Eröffnungsfeier auch. Da kriege ich nochmal einen unheimlichen Energieschub – bisher habe ich auf jedem Ausstellerabend getanzt.
Während der ACHEMA ist mein Tagesgeschäft, mich um einige Veranstaltungen zu kümmern, die es ja zusätzlich zum Messegeschehen und zum Kongressprogramm auch noch gibt. Wenn sich hochkarätige Gäste angesagt haben, zum Beispiel. Das können dann ganz banale Sachen sein, etwa ob ein Blumengesteck am richtigen Platz steht oder in einem Raum noch 50 Stühle mehr gebraucht werden, aber alles hat viel mit Laufen zu tun. An einem durchschnittlichen Messetag sind auf meinem Schrittzähler über 20.000 Schritte. Vor der ACHEMA ziehe ich immer los und kaufe mir ein Paar schwarze Schuhe, die so bequem sind wie Turnschuhe, aber nicht so aussehen. Ich bewundere Frauen, die mit Stöckelschuhen über die Messe laufen.
Am ACHEMA-Donnerstag kommen dann schon massenweise Anfragen von Ausstellern, wie das am Freitag mit dem Abbau läuft, die beantwortet alle mein Team. Das übliche Szenario ist „Mein Zug fährt, mein Flieger fliegt und ich will nur möglichst schnell mit einer kleinen Kiste vom Gelände runter, wie kriege ich das hin?“ Für uns geht es am Freitag darum, die Aussteller auf dem Gelände zu halten und die ACHEMA geregelt zu beenden. Wenn die Gangteppiche entfernt werden sollen, ist es eben wichtig, dass keine Kisten in den Gängen herumstehen und die Arbeiter behindern. Sobald die Teppiche aufgenommen sind, dürfen Autos und Kleintransporter für den Abbau auf das Gelände. Das Einfahren der Fahrzeugkolonne schaue ich mir eigentlich immer an. Einerseits, weil es ein echtes Spektakel ist, wie diese unendlich lange Fahrzeugschlange hereinrollt, andererseits weil ich wissen muss, ob das von der Organisation her alles klappt.
Am Freitag verlasse ich das Gelände gegen 22 Uhr. Um zwei Uhr früh beginnt die „Leergutnacht“. Dann schwärmt eine Armee von Gabelstaplern aus und bringt die eingelagerten Verpackungskisten von den Lagerräumen zu den Ständen. Das haben wir früher auch mit überwacht, aber das koordiniert jetzt die Messe Frankfurt.
Der Abbau dauert bis zum Mittwoch nach der Messe. Im Laufe des Mittwochnachmittags gehen die Bauleiter und ich nochmal durch alle Hallen und gucken, ob jetzt wirklich alles weg ist und auch kein Stand vergessen wurde. Wenn wir dann vom Gelände gehen und es ist kein schwerwiegender Unfall passiert, es ist von den Sicherheitsaspekten her alles gut gelaufen, dann ist die ACHEMA für mich vorbei und ich kann aufatmen.
Urlaub mache ich, wenn die Rechnungen an die Aussteller geschrieben sind und auch mit den Dienstleistern und der Messe Frankfurt abgerechnet ist. Das ist in der Regel so vier bis sechs Wochen später. Dann fliege ich gerne nach Süd-Kreta, wo nichts ist, keine Reize und wo man einfach mal zählen kann, wie viele Ameisen unter dem Frühstückstisch laufen.
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