06.06.2023 | Hydrogen Innovation

Wasserstoff - Hoffnungsträger für die Energiewende

Auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft liegen große Hoffnungen auf Wasserstoff als wichtigem Baustein der Energiewende. Er ist äußerst energiereich, lässt sich gut speichern und als chemischer Energieträger vielfältig einsetzen. Wie aber kann die Wasserstoffwirtschaft der Zukunft aussehen? Welche Mengen braucht es und welche Infrastruktur passt? Antworten darauf gibt dieser Trendbericht.

Green Deal und Klimaschutzgesetz als Wegbereiter für die Wasserstoffwirtschaft

Die EU hat sich mit dem Green Deal das Ziel gesetzt, bis 2050 so viele Treibhausgase zu vermeiden, wie sie emittiert und damit treibhausgasneutral zu werden. Seit der Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes 2021 durch das Europäische Parlament und den Rat sind die Klimaziele auch gesetzlich verankert und das EU-Zwischenziel für die Emissionsminderung bis 2030 wurde von 40 % auf mindestens 55 % angehoben. Das unter dem Namen „Fit for 55" bekannte Gesetzespaket umfasst Regelungen, die Europa auf diesen Weg bringen sollen. Diese politischen Entscheidungen haben in den letzten zwei bis drei Jahren europa- und weltweit das Fundament für mittlere bis große Wasserstoffprojekte gelegt.

Die Zielmarke ist also gesetzt. Klar ist: Grüner Strom wird in diesem System sicher eine Schlüsselfunktion einnehmen, und seine direkte Nutzung ist unbestritten eine besonders effiziente Lösung. Wind und Sonne sind jedoch volatile Energiequellen und stehen nicht immer zur Verfügung. Zudem ist Strom nur mit großem Aufwand speicherbar. Ein weiteres Argument ist, dass eine moderne Industriegesellschaft, wie beispielsweise Deutschland, sehr große Mengen erneuerbare Energien benötigt, die sich nicht mit national vorhandenen Potenzialen decken lassen. Hier kommt der Wasserstoff ins Spiel: Erneuerbare Energie kann als Wasserstoff in chemischer Form gespeichert werden, ist so über lange Zeiträume speicherbar, jederzeit verfügbar und kann über weite Strecken transportiert werden. Damit bietet Wasserstoff die Möglichkeit, die Erneuerbaren zeit- und ortsunabhängig zu nutzen.

Neu ist Wasserstoff als energiereicher Grundstoff nicht. Eingesetzt wird er bereits heute in großen Mengen in Raffinerien, in der chemischen und petrochemischen Industrie und teilweise auch in der Stahlindustrie. Dieser Wasserstoff wird bisher überwiegend aus Erdgas in einer Dampfreformierung erzeugt, bei der der im Erdgas enthaltene Kohlenstoff zu klimaschädlichem CO2 oxidiert und in die Atmosphäre emittiert wird. Genau das soll sich in Zukunft mit low-carbon Wasserstoff ändern.

Low-carbon Wasserstoff: grün und blau schließen sich nicht aus

Low-carbon Wasserstoff hat im Vergleich zu Wasserstoff, der mit konventionellen Verfahren aus fossilen Energieträgern hergestellt wird, einen deutlich geringeren CO2-Fußabdruck (Carbon Footprint). Dazu gehören z. B. grüner und blauer Wasserstoff.

Grüner Wasserstoff wird durch die Zerlegung von Wasser mit erneuerbarem Strom erzeugt, wobei die elektrische Energie in chemische Energie umgewandelt wird. Die energetische Effizienz dieser Umwandlung liegt zwischen 60 und 70 %. Diesem Verlust an Primärenergie steht gegenüber, dass sich der erzeugte Wasserstoff im Gegensatz zum Strom speichern lässt und jederzeit verfügbar ist. Um den aktuellen und in Zukunft noch wachsenden Bedarf an Wasserstoff zu decken, reichen die derzeit vorhandenen Produktionskapazitäten für grünem Wasserstoff jedoch nicht annähernd aus. Hier ist ein massives Scale-up erforderlich. Vorteil des grünen Wasserstoffs ist, dass er in der Erzeugung keine Emissionen verursacht. Demgegenüber stehen die hohen Kosten, die sich wesentlich durch die Kosten für den erneuerbaren Strom bestimmen. Blauer Wasserstoff wird durch die beschriebene Erdgasreformierung hergestellt, nur mit dem Unterschied, dass das dabei anfallende CO2 nicht in die Atmosphäre entlassen, sondern abgetrennt und dauerhaft gespeichert wird. Der Vorteil dieses Verfahrens gegenüber der Elektrolyse ist der deutlich geringere Energieaufwand, da das Erdgas bereits einen hohen Energiegehalt mitbringt. Zudem lassen sich bestehende Verfahren der Reformierung nutzen, wenn diese um die CO2-Abtrennung ergänzt werden. Insgesamt ist blauer Wasserstoff in der Größenordnung der benötigten Mengen deutlich schneller realisierbar als grüner Wasserstoff, so dass sich zeitnah große Mengen an Treibhausgasemissionen einsparen lassen. Demgegenüber besteht der Nachteil, dass das abgetrennte CO2 dauerhaft und sicher verschlossen gelagert werden muss. Grüner und blauer Wasserstoff stehen also nicht im Widerspruch zueinander. Vielmehr lassen sie sich komplementär nutzen: Die schnellere, blaue Lösung bietet Versorgungssicherheit und zeitnahe Emissionseinsparungen, die grüne, fossilfreie Lösung ebnet den Weg in eine nachhaltige Zukunft.

Allrounder Wasserstoff

In einem erneuerbaren Energiesystem lassen sich mit Wasserstoff-Kraftwerken (Gasturbinen) und Brennstoffzellen Dunkelflauten überbrücken und Schwankungen ausgleichen. Wasserstoff kann auch als Reduktionsmittel in der Stahlherstellung, als Ausgangsstoff für Chemikalien oder zur Bereitstellung von Wärme oder Prozesswärme dienen.

In der Mobilität geht der Trend mit zunehmender Entfernung und steigender Transportmasse zu E-Fuels, hergestellt auf Basis von grünem Wasserstoff. Die hohe volumetrische Energiedichte der E-Fuels überwiegt in diesem Fall die Nachteile der Umwandlungsverluste und ist darüber hinaus für bestimmte Anwendungen, vor allem Schifffahrt und Luftverkehr, alternativlos.

Die Bedeutung von Wasserstoff als essenzieller Baustein der Energiewende wurde spätestens seit dem Jahr 2020 immer deutlicher, als sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass sich grüner Strom und grüne bzw. low-carbon Moleküle komplementär ergänzen müssen. Bis heute haben über 20 Länder der 56 global stärksten Volkswirtschaften nationale Wasserstoffstrategien veröffentlicht. Allen gemein ist das Ziel der Reduktion von Treibhausgasemissionen, meist kombiniert mit technologischen Entwicklungen und der Schaffung neuen Wirtschaftswachstums im Zuge der Transformation. Weitere Maßnahmen der Wasserstoffstrategien fallen je nach Bedarf und Potenzial der Länder unterschiedlich aus: Während Industrienationen neben der heimischen Produktion auch den Import und die Diversifizierung ihrer Energielieferanten in den Fokus nehmen, arbeiten Länder mit hohen Potenzialen für erneuerbare Energien neben der eigenen Versorgung an Strukturen für die Herstellung und den Export von Wasserstoff. Addiert man die in den Strategien geplanten Mengen an Wasserstoff, führt das zu einem globalen Wasserstoffpotenzial im hohen vierstelligen Terawattstunden-Bereich pro Jahr – eine immense Zahl mit entsprechend großen Chancen. Dafür sind hohe Investitionen in Technologieentwicklung, Anlagenbau und Infrastruktur erforderlich. Neue internationale Wasserstoff-Partnerschaften werden entstehen. Zwischen Import- und Exportländern wird bereits heute verhandelt und es entwickeln sich Geschäftsmodelle.

Hyperscaling: low-carbon Wasserstofftechnologien industrialisieren

Die genannten Mengen deuten es an: Der Begriff Up-scaling scheint hier untertrieben. Es ist ein Hyperscaling erforderlich, ein Hochskalieren der Kapazitäten und Strukturen im Bereich von Faktor 100. Beispielsweise zielt die Wasserstoffstrategie Deutschlands auf eine Implementierung von 10 GW Elektrolysekapazität allein zur Erzeugung von grünem Wasserstoff auf dem Heimatmarkt. Und Prognosen des Nationalen Wasserstoffrats korrigieren diesen Bedarf an Elektrolysekapazität aktuell nach oben auf 22 bis 37 GW. Vor allem in stark industrialisierten Ländern mit chemischer Industrie oder Stahlherstellung sind die Wasserstoff-Bedarfe hoch, wenn diese Bereiche defossilisiert werden sollen.

Diese Ziele lassen sich für grünen Wasserstoff nur erreichen, wenn die Elektrolysetechnologien massiv hochskaliert werden. Die Zahl der Elektrolyseurhersteller auf der internationalen Bühne wächst stetig und auch etablierte Anbieter entwickeln aktuell mit Hochdruck ihre Systeme weiter und investieren in Anlagen und Automatisierung, damit sie ihren technologischen Vorsprung halten und ausbauen können und im internationalen Wettbewerb bestehen.

Eine derartiges Scale-up lässt sich jedoch nicht einfach realisieren, indem aktuell vorhandene Fertigungseinheiten vervielfacht werden. Vielmehr braucht es ganz neue Prozesse und Produktionstechnologien. Große Baugruppen müssen am Fließband serienmäßig hergestellt werden, vollautomatisiert, um den Durchsatz hochzufahren und die Fehlerquote minimal zu halten. Nicht nur die Leistung eines Elektrolyseurs, sondern auch die Eignung der Komponenten für automatisches Assembling, Wartung und Reparatur und vor allem Betriebssicherheit und Lebensdauer sind jetzt wichtige Zielparameter. Für die Herstellung großer Mengen grünen Wasserstoffs müssen vor allem die Erneuerbaren ausgebaut werden, um den benötigten grünen Strom zur Verfügung zu stellen.

Aktuell arbeiten zahlreiche Hersteller von Elektrolyseuren am Scale-up ihrer Technologien, tätigen hohe Investitionen und verzeichnen entsprechendes Wachstum. Ein Beispiel ist das Unternehmen H-TEC SYSTEMS, das Ende April 2023 gemeinsam mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft im Hamburger Stadtteil Rahlstedt den offiziellen Spatenstich für eine neue Fabrik stattfinden ließ. Das H-TEC SYSTEMS Stack Manufacturing & Development Center wird künftig Entwicklung, Fertigung, Testung und Service an einem Standort vereinen und langfristig mehrere hundert Mitarbeitende beschäftigen. Schon ab 2024 sollen dort PEM-Elektrolyse-Stacks mit einer potenziellen Gesamtelektrolysekapazität von bis zu 5 Gigawatt automatisiert hergestellt werden.

Auch für den blauen Wasserstoff wäre ein entsprechendes Scale-up erforderlich. Die Erdgas-Reformierung wird heute bereits im industriellen Maßstab durchgeführt, wobei zwischen den Mengen Wasserstoff für den heute üblichen industriellen Anwendungen und seiner angedachten Rolle im Energiesystem noch immer ein Scale-up-Faktor von ungefähr 10 liegt. Für den CCS-Prozess (Carbon Capture and Storage) gibt es auch bereits großskalige Prozesse.

Das Neuland liegt hier eher in der Kombination beider Technologien und der Integration der Schnittstellen, wie der Erdgasförderung oder -lieferung auf der einen Seite und der CO2-Speicherung auf der anderen Seite. Ein Beispiel hierfür ist die norwegisch-deutsche Zusammenarbeit von Equinor und RWE, in der sowohl Erdgas als auch blauer Wasserstoff aus Norwegen nach Deutschland geliefert werden sollen, um zur Versorgungssicherheit beizutragen und perspektivisch über Gaskraftwerke, die Wasserstoff-ready sind, das erneuerbare Energiesystem zu unterstützen. Ein weiteres aktuelles Beispiel ist das im März 2023 gestartete Projekt CCS First von INEOS und Wintershall, in dem CO2 in ein erschöpftes Ölfeld eingespritzt wird. Das Ziel ist die Speicherung von 8 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr – das entspricht 40 % von Dänemarks CO2-Reduktionszielen.

Wasserstoff transportieren und speichern

Eine Wasserstoffwirtschaft kann zudem nur dann entstehen, wenn gleichzeitig die entsprechende Infrastruktur aufgebaut wird. Es braucht Transport- und Speichertechnologien, die sowohl für den Wasserstoff selbst als auch für einige seiner Folgeprodukte entwickelt und hochskaliert werden müssen. Die Herausforderung in der Infrastruktur ist die geringe volumetrische Dichte des Wasserstoffs, zudem seine hohe Diffusivität und seine Eigenschaft, bestimmte Stähle anzugreifen und zu verspröden. Üblicherweise wird gasförmiger Wasserstoff für die Speicherung komprimiert, z. B. auf 350 oder 700 bar, oder sogar verflüssigt, um die volumetrische Energiedichte zu erhöhen. Beides erfordert Energie und aufwändige Tanks. Eine weitere Methode, Wasserstoff transportfreundlicher zu machen ist die Bindung an flüssige Trägermaterialen LOHC (Liquid Organic Hydrogen Carriers), an die er gebunden und im Anschluss wieder freigesetzt und zurückgewonnen wird. Damit ist ein druckloser Transport in Flüssigkeitstanks möglich, wie sie schon heute für fossile Energieträger verwendet werden.

Zudem kann Wasserstoff transportiert werden, wenn er in Folgeprodukte umgewandelt wird, etwa in Ammoniak oder Methanol. Nach dem Transport lässt sich der Wassersoff durch Reformierung zurückgewinnen. Alternativ kann Ammoniak als essenzieller Grundstoff – beispielsweise in der Düngemittelherstellung – direkt genutzt werden.

Power-to-X und Kohlenstoff-Kreislauf

Power-to-X (kurz: PtX oder auch P2X) steht für die Erzeugung von Stoffen mit erneuerbarer elektrischer Energie. An erster Stelle steht hier die Elektrolyse mit X gleich Wasserstoff, aber das ist nur der Startpunkt. Aus Wasserstoff lassen sich organische Moleküle herstellen: Die bekanntesten Kandidaten sind Methanol und seine Folgeprodukte (Methanol-to-Gasoline), Methan sowie flüssige Kohlenwasserstoffe durch Fischer-Tropsch-Synthese. Sie lassen sich in der Chemie- und Prozessindustrie als Plattformmoleküle verwenden oder als klimaneutrale Kraftstoffe einsetzen, vor allem in Anwendungen, die nicht auf dem Weg der direkten Elektrifizierung defossilisierbar sind (z. B. Seeschifffahrt, Flugzeuge).

Um organische Grundstoffe via PtX, also mit grünem Wasserstoff, herzustellen, braucht es Kohlenstoff. Heute stammt der Großteil des Kohlenstoffs aus fossilen Grundstoffen. Dieser muss ersetzt werden durch Kohlenstoff aus anderer Quelle. Als perfekte Lösung läge die Gewinnung von atmosphärischem CO2 via Direct Air Capture (DAC) auf der Hand, aber die CO2-Konzentration in der Luft ist gering. Entsprechend ist DAC aufwändig und teuer. Eine weitere, pragmatische Möglichkeit ist die Gewinnung von CO2 aus Punktquellen von sogenannten Must-Run-Anlagen, z. B. Zementherstellung und Müllverbrennung, so dass hier eine Emission vermieden wird. Auch biogene Kohlenstoffquellen oder Recycling von Altkunststoffen können zur CO2-Gewinnung für die PtX-Synthese genutzt werden.

Insgesamt stehen auf dem Weg zu einer Wasserstoffwirtschaft große Veränderungen bevor und substanziell neue Prozesse müssen entwickelt und implementiert werden. Die Transformation der Industrie hin zur Klimaneutralität wird mit hohen Kosten verbunden sein. Für die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten sind daher auch die rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für Wasserstoff und PtX-Produkte besonders wichtig. Und nicht zuletzt kommt es auch auf die öffentliche Akzeptanz an. Eine erfolgreiche Energiewende erfordert einen ganzheitlichen und integrierten Ansatz, der technologische, wirtschaftliche, soziale und ökologische Überlegungen miteinander verbindet.

Autor

Florian Ausfelder

Leiter des Fachbereichs Energie und Klima, DECHEMA Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V.

Autorin

Isabel Kundler

Senior Advisor Elektrochemie im Fachbereich Energie und Klima, DECHEMA Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V.

Schlagwörter in diesem Artikel:

#wasserstoff, #co2, #energie

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