13.04.2021 | Process Innovation

Schließt chemisches Recycling den Kreislauf?

... zumindest den in der Kunststoff-Industrie?

Zirkularität ist einer der Megatrends, die in den Highlight Sessions des ACHEMA Pulse diskutiert werden. Kann es der Kunststoffindustrie gelingen, ihre Produkte sinnvoll wiederzuverwenden?  Und welche Arten des Recyclings gibt es überhaupt?  

Wir sprachen mit Dr. Andreas Kicherer, Director Corporate Sustainability bei BASF.

Ist chemisches Recycling die ultimative Antwort auf Kunststoffabfälle?

  • __Ich würde nicht sagen, dass es die ultimative Antwort ist, und ich glaube auch nicht, dass eine einzelne Technologie die ultimative Antwort auf Kunststoffabfälle sein kann. Um diese Herausforderung zu bewältigen und eine Kreislaufwirtschaft zu schaffen, brauchen wir jede verfügbare Lösung. Dazu zählen z.B. auch langlebige Produkte, die wiederverwendet werden können. Wenn die Wiederverwendung nicht möglich ist, brauchen wir mechanisches Recycling, chemisches Recycling und auch die energetische Verwertung. Wenn jemand erzählt, dass er die ultimative Lösung für Plastikmüll gefunden hat, hätte ich persönlich ernste Zweifel.

Warum recyceln wir nicht einfach alles chemisch? Wenn man das Polymer ohnehin in seine Bestandteile zerlegt, braucht man sich über Verunreinigungen keine Gedanken zu machen. 

  • __Zum einen gibt es in Deutschland und anderen europäischen Ländern hervorragende mechanische Recyclingverfahren, z. B. für Flaschen aus Polyethylenterephthalat (PET). Wenn man eine Wasserflasche wieder in eine Wasserflasche verwandeln kann – was gibt es dagegen einzuwenden?  Der andere Grund ist, dass man nicht alle Arten von Kunststoffen chemisch recyceln kann. Das PET-Molekül zum Beispiel enthält Sauerstoff, aber die Pyrolyse funktioniert nur in einer sauerstofffreien Umgebung. Das mechanische Recycling ist in diesem Fall mit Abstand die beste Option.

    Es gibt jedoch viele andere Kunststoffabfallströme, die aus einem Mix verschiedenster Polymere besetehen, z. B. Sortierreste von kommunalem Plastikmüll, die sich sehr gut für das chemische Recycling eignen. Heutzutage werden diese Abfallströme in der Regel energetisch verwertet. Sie durch chemisches Recycling wieder in den Kreislauf zu bringen, ist die bessere Option. Alles in allem kann das chemische Recycling das mechanische Recycling ergänzen. Wir sollten immer die ökoeffizienteste Recyclingoption wählen.

Die BASF hat bereits in den 90er Jahren versucht, diese Technologie zu nutzen. Was genau hat sich seither geändert?

  • __Das stimmt, 1993 hatten wir eine Pilotanlage mit einer Kapazität von 15.000 Tonnen pro Jahr installiert, die allerdings nicht wirtschaftlich betrieben werden konnte. Seitdem haben sich drei Dinge geändert. Erstens gab es in den 1990er Jahren weniger Kunststoffabfälle, und das Recycling wurde als nicht so wichtig angesehen wie heute. Nur in Deutschland gab es Quoten für die Sammlung und das Recycling; überall sonst wurde der Kunststoffabfall verbrannt oder deponiert. Die geforderte Recyclingquote für Kunststoffverpackungen lag bei gerade einmal 36%, und diese Mengen konnten gut mit mechanischem Recycling bewältigt werden. Heute liegt die geforderte Recyclingquote bei 63%. Zweitens gab es in den 90er- Jahren noch viel Polyvinylchlorid (PVC) in Verpackungen, was heute nicht mehr der Fall ist. Das Chlor in PVC ist wie Sauerstoff ein Molekül, das beim chemischen Recyclinprozess stört. Drittens fragen heute viel mehr Kunden Rezyklate an als noch vor 30 Jahren. Außerdem verlangen sie nach Rezyklaten in Neuwarequalität.  Jetzt, da es größerer Mengen zu recyceln gibt und ein höheres Recycling-Bewusstsein exisitert, macht das chemische Recycling noch mehr Sinn.

Ist chemisches Recycling auch in Entwicklungsländern anwendbar, in denen die Abfallsammlung und -trennung noch nicht so ausgefeilt ist?

  • __Die ersten kommerziellen Anlagen befinden sich in Europa. Dennoch suchen wir nach Möglichkeiten, die Technologie in Zukunft auch in anderen Regionen einzusetzen. Wichtig ist jedoch, dass eine funktionierende Sammelinfrastruktur für Abfälle vorhanden ist oder aufgebaut wird. Bei BASF setzen wir uns stark dafür ein, dass mehr Kunststoffabfälle gesammelt und recycelt werden. Deshalb engagieren wir uns in verschiedenen Projekten und Initiativen, die den Gedanken der Kreislaufwirtschaft stärken und verhindern, dass Kunststoffe in die Umwelt gelangen. So ist BASF zum Beispiel Gründungsmitglied der Alliance to end plastic waste und wir nehmen diese Verpflichtung ernst.

Sie haben PET als ein Material erwähnt, das am besten mechanisch recycelt wird. Gibt es noch andere Materialien, die vielleicht nur chemisch recycelt werden können?

  • __Abgesehen von PET liegt es nicht so sehr das Material selbst, sondern ist eher eine Frage der Größe der Kunststoffprodukte. Große Polyethylen-Behälter, zum Beispiel Waschmittelflaschen, können leicht aussortiert werden. Für Abfälle, die kleiner und vielleicht sogar noch verschmutzt sind, sind komplexe Sortier- und Reinigungsprozesse nötig. Das bedeutet sehr oft auch einen hohen Energiebedarf, und deshalb ist es besser, kleine und verschmutzte Abfälle für das chemische Recycling zu verwenden. Wir sehen es als Ergänzung zum mechanischen Recycling.

Wie wird das Pyrolyseöl hergestellt? Haben Sie Ihre Lieferketten verändert und gab es auf dem Weg dorthin neue Allianzen?

  • __Das Sammeln und Recyclen von Abfällen ist definitiv nicht unser Kerngeschäft, daher haben wir Partner, die Pyrolyseanlagen betreiben. Diese neuen Partnerschaften sind insofern sehr intensiv, als dass wir Experten zur Verfügung stellen, die mit unserem technologischen Know-how zu unterstützen. Unser norwegischer Partner Quantafuel zum Beispiel, macht aus gemischten Haushaltskunststoffabfällen Pyrolyseöl.  Das rohe Pyrolyseöl kann allerdings nicht direkt in der chemische Produktion eingesetzt werden. Es ähnelt vielmehr rohem Mineralöl, das man auch nicht direkt aus der Ölquelle in eine Chemieanlage einspeisen kann. Hier kommt die Expertise der BASF zum Tragen: Wir unterstützen unseren Partner Quantafuel bei der Entwicklung geeigneter Katalysatoren, um das Pyrolyseöl zu reinigen. Erst dann erfüllt das Öl die Spezifikationen, die es für den Einsatz in unseren Chemieanlagen benötigt.

Chemisches Recycling wird als Greenwashing kritisiert, weil es sehr energieintensiv ist. Was sagen Sie dazu?

  • __Derzeit haben die kommerziellen Pyrolyseanlagen eine Ausbeute von 71 %. Das bedeutet, dass 71 % der Kunststoffabfälle in Öl umgewandelt werden, und wir erwarten, dass wir die Ausbeute auf 75 % bis 80 % steigern können. Die restlichen 20 % werden in ein Gas umgewandelt, das den gesamten Pryrolyseprozess antreibt, so dass wir dafür fast keine externe Energie benötigen.  

    Übrigens, chemisches Recycling kann auchzur Einsparung von CO2-Emissionen bei beitragen. Die Pyrolyse von gemischten Kunststoffabfällen stößt 50 % weniger Kohlenstoffdioxid aus als deren Verbrennung. Zu diesem Ergebnis kommt eine vom Beratungsunternehmen Sphera im Auftrag der BASF durchgeführte Lebenszyklusanalyse (LCA), die von unabhängigen Experten überprüft wurde.

Verwenden Sie das Massenbilanz-Verfahren nur, weil der Anteil an Pyrolyseöl im Moment zu gering ist oder gibt es auch andere Gründe?

  • __Der Massenbilanzansatz ist der zentrale Hebel für einen schnellen Übergang zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft im großen Maßstab, da wir unsere bestehenden, sehr effizienten Anlagen nutzen können. Wenn wir den Massenbilanzansatz anwenden, stellen wir immer sicher, dass es eine physische Verbindung gibt: Vom Einspeisepunkt, an dem das Pyrolyseöl in unsere Produktion gelangt, kann man seinen Weg bis zum Endprodukt verfolgen, meist über eine Pipeline. Manchmal kann es auch ein LKW oder ein anderes Transportmittel sein, aber es gibt immer eine klare Verbindung.

Sie haben sehr gut erklärt, dass das chemische Recycling nur ein Teil des Kunststoff-Kreislaufs ist.  Wie schätzen Sie den Anteil des chemischen Recyclings in 10 Jahren ein? 

  • __Ich bezweifle, dass es dominierend sein wird. Es hängt davon ab, ob der gesetzliche Rahmen das chemische Recycling unterstützt, und in der EU ist das definitiv der Fall. Ich denke, dass der Anteil des chemischen Recyclings im Jahr 2030 bei 20-30 % liegen könnte.

Die Fragen stellte Kathrin Rübberdt

Autor

Dr. Andreas Kicherer

ist Experte für Recycling-Technologien und leitete in seiner aktuellen Funktion Projekte bei der Ellen MacArthur Foundation. Innerhalb der Alliance to End Plastic Waste vertritt er BASF in der Projektsteuerungsgruppe.

andreas.kicherer[at]basf.com

www.basf.com

Schlagwörter in diesem Artikel:

#kreislaufwirtschaft, #recycling, #nachhaltigkeit, #verpackungstechnik, #abfallbehandlung

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